Grüne Religionspolitik – eine offensive Position

Analyse

Die Religionsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Ihre Auslebung ruft aber immer wieder Konflikte hervor, unter anderem, weil die Verfassung auch die Freiheit vor Religion schützt. Sigrid Beer formuliert eine grüne Position für Religions- und Weltanschauungspolitik, die die Freiheitsrechte aller mit Zielen wie Emanzipation und Wertschätzung von Vielfalt in Einklang bringt. 

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Mit der Einsetzung der Kommission »Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat« im Jahr 2013 initiierte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Prozess, den es sonst in wohl keiner Partei in dieser Tiefe und Breite gegeben hat: eine ausführliche Auseinandersetzung damit, welche aktuellen Fragen an die Religionspolitik im demokratischen Gemeinwesen gestellt werden müssen und welche Beiträge die Religionspolitik zur Gestaltung in der Gesellschaft leisten kann. Der Arbeitsprozess mündete im November 2016 in einen Beschluss auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Münster.

Kein Rütteln an der Religionsfreiheit

Trotz sehr unterschiedlicher Auffassungen innerhalb der grünen Bewegung, was das Verhältnis von Religionsgemeinschaften und Staat angeht, gibt es ein klares Bekenntnis zur Religionsfreiheit. Der demokratisch verfasste Rechtsstaat hat in seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität (siehe das Interview mit Judith Hahn in diesem Dossier) die Aufgabe, den Rahmen zu gewährleisten, der ermöglicht, dass alle Bürger*innen ihre Religion oder Weltanschauung gleichberechtigt, angst- und diskriminierungsfrei leben können. Ebenso ist die Freiheit zu schützen, ohne eine Religion oder Weltanschauung sein Leben gestalten zu können. Es ist daher eine religions- und gesellschaftspolitisch offensive Position sowie grundrechtsklare und demokratische Überzeugung, an der Religionsfreiheit – individuell, kollektiv und auch korporativ – genauso wie etwa an der Gewissens- und Meinungsfreiheit nicht zu rütteln.

Varianten der Religionsfreiheit: Art. 4 GG garantiert die Freiheit, sich eine eigene religiöse (oder weltanschauliche) Überzeugung zu bilden sowie sie auszuleben – und zwar sowohl individuell als auch kollektiv, also auch die Freiheit, sich als Gruppe zusammenzuschließen und gemeinsam eine Religion zu praktizieren. Diese kollektive Freiheit setzt bereits sehr früh ein, etwa wenn sich eine Gruppe von Personen lose zum religiösen Austausch trifft. Die korporative Religionsfreiheit hingegen schützt nicht die natürlichen Personen, sondern die juristische Person, also die Religionsgemeinschaft. Sie stattet diese mit eigenen Grundrechten aus und ermöglicht ihr so eine weitreichende Handlungsfreiheit und Abwehrrechte gegenüber dem Staat. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das Selbstbestimmungsrecht zu nennen, welches den Religionsgemeinschaften zuspricht, ihre eigenen Angelegenheiten selbstständig zu ordnen und zu verwalten – ohne Einmischung durch den Staat. Diese Regelung ist ein wichtiger Grundsatz des deutschen Religionsverfassungsrechts, führt aber gerade im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts teilweise zu Widerstand (siehe unten).

Auch wenn B'90/DIE GRÜNEN einen gewissen Bedarf an Weiterentwicklungen oder Korrekturen des Religionsverfassungsrechts sieht, die im Kommissionsbericht auch dargelegt werden (beispielsweise in Bezug auf das kirchliche Arbeitsrecht, auf das ich weiter unten näher eingehe): Ganz grundsätzlich bekennt sich eine grüne Religionspolitik zum geltenden Religionsverfassungsrecht (siehe zu dessen Grundsätzen das Interview mit Judith Hahn in diesem Dossier) der Bundesrepublik Deutschland. Dies ist nicht nur der gerade genannten Überzeugung und der realpolitischen Einsicht geschuldet, dass sich eine verfassungsändernde Mehrheit für eine Aufhebung des Religionsverfassungsrechts nicht finden lässt.

Darüber hinaus gibt es für das deutsche System gerade in Abgrenzung zu den Modellen anderer Staaten wie beispielsweise den USA oder Frankreich ein zentrales Argument: Das deutsche Religionsverfassungsrecht erschwert in maßgeblicher Weise Religionsgemeinschaften und Geistlichen, sowohl durch ihre Einbindung in das staatliche und kommunale Sozialwesen (siehe unten), als auch durch ihren Kontakt mit den säkularen Wissenschaften jene Isolation und Selbstausgrenzung, die zu Fundamentalismus führt.

Pluralität gewährleisten und aushalten

Die Entwicklung der pluralen Gesellschaft spiegelt sich auch in der Pluralität von Religionen und Weltanschauungen. Religiöser und weltanschaulicher Pluralismus ist Markenkern einer liberalen Demokratie, der aber auf einem unverrückbaren Grundprinzip basiert: der Anerkennung des Grundgesetzes, plakativ in die Formel gebracht: "Kein heiliges Buch steht über dem Grundgesetz." Die anerkannte Vielfalt soll in der Gesellschaft sichtbar sein und wird nicht ins Private oder Verborgene abgedrängt.

Das ist Chance und Herausforderung. Und in diesem Sinne ist Religionsfreiheit zwar ein unverhandelbares Menschenrecht, aber auch kein abgeschlossener Prozess, sondern verlangt eine beständige kritische Reflexion und einen öffentlichen Diskurs. Religionsfreiheit und Religionskritik schließen sich gerade nicht aus. In diesem Sinne ist es der Anspruch grüner Religionspolitik, für Freiheitsrechte und grundlegende emanzipatorische Prozesse zugleich einzutreten.

Religionsfreiheit ist herausfordernd und anstrengend – ein Beispiel

Dass dieser Anspruch nicht immer leicht einzulösen ist, zeigt ein Beispiel der Präsenz der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, ihrer Traditionen und Symbole im öffentlichen Raum. Diese ist nicht nur ein Ausdruck der Religionsfreiheit, sondern auch ein immer wiederkehrender Anlass zur öffentlichen, teils hoch emotionalisiert geführten Debatte. Betrachten wir das Kinderkopftuch in der Schule: Zu Recht wird bei dieser Frage das Tragen unter Zwang genauso wie der soziale Druck und die Kontrolle aus der Peergroup heraus, sowie eine mögliche Beschränkung von Entfaltungsmöglichkeiten und früh greifende Geschlechterstereotype problematisiert. 

Allerdings konnte selbst die von CDU und FDP geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bei ihren Vorstößen für ein Verbot des Kopftuchs in Kita und Grundschule auf mehrfache Nachfrage keine Zahlen vorgelegen, von wie vielen Fällen im bevölkerungsreichsten Bundesland überhaupt auszugehen ist. Auch aus den Lehrer- und Schulverbänden wurde verdeutlicht, dass es sich nicht um ein weit verbreitetes Phänomen handelt. Das muss selbstverständlich per se kein Argument gegen ein Verbot sein, doch weist es auf einen Mechanismus hin, der gerade in Bezug auf muslimische Symbole, Bauwerke und Riten einsetzt: Es geht weniger darum, ein Problem basierend auf der Empirie zu betrachten und anzugehen, sondern vielmehr um die Botschaft, die mit einem Verbot gesendet wird.

Ein einfaches Verbot des Kinderkopftuchs, wie es zum Beispiel im Berliner Bezirk Reinickendorf einmütig von Vertreter*innen der CDU und der AfD gefordert wird, hat nicht nur ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn es von Personen und Organisationen kommt, die sonst nicht dafür bekannt sind, sich für Emanzipation von Mädchen einzusetzen. Es wirft zudem rechtliche Probleme auf. Denn die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht (auch konservativer muslimischer Eltern) sind im Grundgesetz verbürgt; sie können nicht einfach vom Tisch gewischt werden, sondern müssen sorgfältig gegen andere Grundrechte und Prinzipien abgewogen werden. Nicht nur der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt zu dem Schluss, dass ein generelles Verbot des Kopftuchs für Schülerinnen verfassungsmäßig wohl unzulässig wäre. 

Konsequente Haltungen statt populistischer Forderungen

Auch politisch muss der Sinn eines solchen Verbots hinterfragt werden. Es ist beileibe kein Plädoyer pro Kinderkopftuch, sich zu fragen, ob ein pauschales Verbot in der Schule überhaupt durchgreifend zum Wohle des Kindes wirken kann oder ob nicht gezielte, konsequente soziale und pädagogische Maßnahmen zum Schutz ergriffen werden müssen. Die Kernfrage ist: Was hilft den Mädchen, die unter Druck sind, tatsächlich? Und nicht: Was ist der politische Benefit populistischer Forderungen für diejenigen, die damit durch die Gazetten und Social Media ziehen?

Natürlich ist eine Religionspolitik, die in dieser Weise differenziert, dem Vorwurf falscher Toleranz und des Wegschauens ausgesetzt. Doch die beschriebenen Interventionen in Verbindung mit kontinuierlicher Elternarbeit sind genau das Gegenteil. Die grüne Haltung ist klar: Die individuelle Freiheit, selbstbestimmt zu leben, findet ihre Grenze dort, wo die Freiheit anderer eingeschränkt wird. Niemals darf am Grundprinzip gerüttelt werden, dass jeglicher Form von Gewalt, Zwang und Repression in Bezug auf das Geschlecht, die sexuelle oder religiöse Orientierung oder Herkunft immer entgegengewirkt werden muss.

Wer für sich die Religions- und Weltanschauungsfreiheit beansprucht, muss ebenso die positive wie negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit anderer umfassend anerkennen. Diese Grundrechtsklarheit ist auch von den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gefordert, wenn es um die Achtung der Meinungsfreiheit und demokratischer Willensbildungsprozesse geht sowie darum, alle Formen von Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie nirgends zu dulden. Die Rechte von Minderheiten stehen ebenso wenig zur Disposition wie die Gleichheit von Mann und Frau. 

Bei Themen wie dem Kinderkopftuch sind zudem noch integrations- und gesellschaftspolitische Erwägungen mitzudenken. Die Schule ist und muss emanzipatorischer Raum zur Entfaltung sein, Raum für historisch-kritische Exegese und systematische Reflexion theologischer, ethischer und weltanschaulicher Fragen und Traditionen. Da liegt gerade die Chance in der Religionsfreiheit, die auch Raum gewährt für einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen unter deutscher Schulaufsicht, in deutscher Sprache, vermittelt durch Lehrkräfte, die an deutschen Hochschulen ausgebildet sind.

Die Anerkennung, die Muslim*innen durch einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht entgegengebracht wird, ist Ausdruck der Gleichberechtigung und Integrationsfaktor zugleich. Wobei gleichermaßen gilt: Aufgaben der Integration können nicht einseitig bei der Schule abgeladen werden. Die Versäumnisse und Defizite in der Integrationspolitik werden aber immer wieder dort spürbar und müssen bearbeitet werden. Das muss mit Ressourcen unterfüttert werden, wie beispielsweise Fortbildungen und multiprofessioneller Unterstützung der Schulen. Eine aktive Integrationspolitik wird nicht obsolet. 

Es stelIt sich auch im Sinne einer integrationspolitischen Klugheit die Frage nach einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Thema der Pluralität. Warum wird der Diskurs vor allem über und nicht mit jungen Muslim*innen geführt? Wer politisch eine Verbotsrhetorik anschiebt, die dazu geeignet ist, vor allem eine Religion zu stigmatisieren, treibt nicht nur Jugendliche in eine Protesthaltung, sondern könnte sie damit sogar eher empfänglich machen für dogmatische Positionen und konservative Gruppierungen. 

Religionspolitscher Kongress "BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NRW" - Sigrid Beer, MdL

Pluralität gestalten 

Glaubwürdigkeit im konsistenten Handeln und Gleichbehandlung im Umgang mit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gehören zur demokratischen Währung im politischen Diskurs, wenn es um die Gestaltung von Pluralität geht. Die Pluralität der Gesellschaft wird oft festgestellt, es wird allerdings zu wenig getan, sie aktiv zu gestalten. 

Seit 2017 forscht das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zu Integration und Migration sowie zu Konsens und Konflikt, zu gesellschaftlicher Teilhabe und zu Rassismus. Empirische Studien müssen Grundlage für eine gemeinsame Debatte liefern. Sie tragen dazu bei, alle Perspektiven einzubeziehen und bieten die Chance, Ängste vor Pluralität auf der einen und vor Ausgrenzung auf der anderen Seite abzubauen.

Die Grundlage, um Pluralität zu gestalten, ist das Grundgesetz. Auf dieser Basis ist der säkulare und neutrale Staat gefordert, Kompetenz im Umgang mit der wachsenden Pluralität zu zeigen. Das heißt nicht, den Islam zu drängen, sich kirchlich zu überformen. Religionsfreiheit in Verschiedenheit ist innerhalb des Religionsverfassungsrechts möglich. Dabei muss staatlicherseits auch die Pluralität innerhalb des Islams stärker wahrgenommen werden. Die unterschiedlichen muslimischen Communities sind ihrerseits in der Pflicht, sich in ihrer Verschiedenheit als Ansprechpartnerinnen des Staats zu organisieren.

Die Schritte, die zu entwickeln sind, liegen aus der Sicht der grünen Religionskommission in der Bekenntnisförmigkeit der Gemeinschaft(en), in der umfassenden Erfüllung religiöser Aufgaben, dem Nachweis theologischen Sachverstandes und der mitgliedschaftlichen Organisation. Daneben muss natürlich die Anerkennung der fundamentalen Verfassungsgüter und die Unabhängigkeit von ausländischer Einflussnahme wie der Religionsbehörde des türkischen Staats gewährleistet sein.

Der Staat kann durch die Bereitstellung von Beratungs- und Informationsangeboten organisatorisch unterstützen. Die Gestaltung von Pluralität muss begleitet werden durch die Entwicklung und das Wachsen von Pluralitätskompetenz im gesellschaftlichen Miteinander in allen Lebensbereichen.

Pluralität lernen 

Ein Übungsfeld kann hier wiederum der bekenntnisorientierte Religionsunterricht sein, wie der in Hamburg entwickelte RUfa 2.0 (Religionsunterricht für alle 2.0). Der RUfa 2.0 setzt auf vertiefte konfessionelle Elemente verbunden mit einem strukturell verankerten dialogischen Prinzip. Das Modell erkennt die Realität einer multikulturellen und multireligiösen Stadtgesellschaft an, will gegenseitiges Verstehen fördern, friedliches Zusammenleben unterstützen und erfahrbar machen. Ein respektvoller Umgang und Strategien zur Konfliktlösung gehören zu einer zu entwickelnden Pluralitätskompetenz. 

Wesentliche Elemente des RUfa 2.0.sind die gleichberechtigte Verantwortung der Inhalte im Rahmen von Art. 7.3 des Grundgesetzes sowie der gemeinsame Unterricht von Schülerinnen und Schülern unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Er ist in dialogischer Form konzipiert und stellt das gegenseitige Kennenlernen in den Mittelpunkt. Die Schüler*innen erleben, dass unterschiedliche Glaubenswahrheiten nebeneinanderstehen, ohne sich übereinander zu erheben.

Pluralität leben 

Pluralitätskompetenz erfordert aber auch Offenheit und Wandlungsbereitschaft von alteingesessenen Akteur*innen wie den Kirchen und deren karitativen und sozialen Einrichtungen, der Diakonie und der Caritas. Nach dem Öffentlichen Dienst sind diese der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Für Beschäftigte werden sie zunehmend ein Arbeitgeber wie jeder andere; schließlich arbeiten beispielweise Diakonie und Caritas im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips. Dieses besagt, dass öffentliche Träger im Bereich der sozialen Arbeit öffentliche Aufgaben erst übernehmen, wenn der Bedarf nicht durch freie Träger gedeckt werden kann.

Weil die Caritas und die Diakonie zu diesen freien Trägern gehören, haben sie grundsätzlich Vorrang vor öffentlichen Trägern und damit ein sehr breites Wirkungsfeld. Regional haben die kirchlichen Träger teilweise sogar eine Monopolstellung – etwa, wenn es in einer bestimmten Region nur ein katholisches Krankenhaus gibt. Ihre Dienstleistungen sind damit nicht nur an eine christliche Kerngruppe gerichtet und auch die Zusammensetzung der Mitarbeiter*innen hat sich längst gewandelt. Pluralität hat auch hier Einzug gehalten. Mitarbeitende, die nicht in religiösen Kernbereichen wie der Verkündigung oder der Seelsorge beschäftigt sind, verpflichten sich einem humanitären Leitbild – aber nicht den Glaubenssätzen.

Doch immer noch gibt es Vorfälle, dass beispielsweise Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, keinen Job als Küchenhilfe in einem katholischen Krankenhaus finden. Anachronistisch mutet es an, dass Wiederverheiratete um ihre Beschäftigung bangen müssen, sei es ein Kita-Leiter oder eine Chefärztin. So sind in den letzten Jahren solche unverständlichen und massiven Eingriffe sowie besondere Loyalitätspflichten für Arbeitnehmer*innen in kirchlichen Betrieben vor Gerichten gescheitert. Das kirchliche Arbeitsrecht befindet sich in einer Legitimationskrise – auch wenn es zunehmend Lockerungen zu verzeichnen gibt.

Neben dieser klaren Entwicklungsaufgabe für die kirchlichen Einrichtungen bestehen allerdings auch religionspolitische Aufgaben für den Staat. Denn gerade in Bereichen und Regionen, in denen es zu einer Monopol- oder monopolähnlichen Stellung der kirchlichen Arbeitgeber*innen kommt, muss ein diskriminierungsfreier Zugang zum Arbeitsmarkt gewährleistet sein. Wie oben bereits angesprochen, gilt es daher, auch den gesetzlichen Rahmen zu prüfen. Die korporativen Rechte der Glaubensgemeinschaften werden als grundsätzliches Recht anerkannt.

Sie müssen allerdings in einem ergebnisoffenen Prozess der Plausibilitäts- und vielmehr noch der Verhältnismäßigkeitsprüfung gegenüber jedem Eingriff in die individuellen Menschenrechte unterzogen und zu einem Ausgleich geführt werden. Dabei kann es nicht zu einer Regelsetzung kommen, die der Rechtsposition der Religionsgemeinschaften vorab den grundsätzlichen Vorrang gewährt. Diese Rechtsauffassung stützt etwa auch das Deutsche Institut für Menschenrechte.

Gerade in Bereichen, in denen öffentliche Aufgaben übernommen werden, kann eine Benachteiligung etwa aufgrund gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung für B'90/DIE GRÜNEN nicht hinnehmbar sein. Daher gilt es, die Freiheiten der religiösen (und weltanschaulichen) Arbeitgeber*innen enger zu fassen, zum Beispiel durch eine Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinie. So können Gerichte im Einzelfall die individuellen Rechte der Arbeitnehmer*innen gegen die Rechte der Glaubensgemeinschaft abwägen und in Einklang bringen, beispielsweise mit der schon erwähnten und teils bereits auch praktizierten Abstufung der Loyalitätspflichten. 

Diese Beispiele zeigen: Eine Gestaltung der Vielfalt ist möglich, wenn alle Gruppen in der Gesellschaft konsens- und regelungsbereit sind. Gerade in seiner religions- und weltanschaulichen Neutralität kann der Staat seiner Verantwortung nachkommen, den Boden für eine Kooperation mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als positive Kräfte der Zivilgesellschaft zu bereiten und Pluralität Raum zu geben.