Rumänien in Zeiten von Covid 19

Wer Zuhause bleiben muss und sein Auto längere Zeit nicht braucht, verpackt es sicherheitshalber gleich ein.
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Wer Zuhause bleiben muss und sein Auto längere Zeit nicht braucht, verpackt es sicherheitshalber gleich ein.

Ich bin in Rumänien geboren und seit meinem zehnten Lebensjahr lebe ich in Deutschland. Ich habe noch Verwandte und Freundinnen in Siebenbürgen und Bukarest und hatte Glück im März in letzter Minute noch meine Oma zu besuchen.

Am 8. März habe ich das Land verlassen, am 22. März wurden die Grenzen für ausländische Besucher*innen weitgehend geschlossen.

Das Leben in Rumänien ist, seitdem ich das Land verlassen habe, ein anderes geworden. Auf den folgenden Seiten schildere ich meine subjektiven Eindrücke nach Gesprächen mit Verwandten und Freunden sowie Recherchen im Internet und in den Medien. Der Stand ist der 26.04.2020.

Allgemeine Lage und Notstand

Am 11. März, also vier Tage vor Hamburg, hat die rumänische Regierung beschlossen, die Schulen zu schließen. Ab dem 16. März dekretierte Präsident Klaus Johannis den Notstand in Rumänien. Der Ausnahmezustand galt im ersten Schritt bis zum 15. April und wurde vorerst bis zum 15. Mai verlängert. Die Schulsperre ist bereits bis Juni verlängert worden.

Ein Landkreis und mehrere Ortschaften in Rumänien sind – aufgrund erhöhter Infektionszahlen und Todesfällen – nach der Militärverordnung unter Quarantäne gestellt worden. Dazu gehört der Landkreis Suceava im Nordosten Rumäniens. Diese Ortschaften sind militärisch abgeriegelt und werden streng kontrolliert.

Ein großes Problem, das in Rumänien besteht, sind die zahlreichen Arbeiter*innen, die im europäischen Ausland tätig sind. Diese haben gerade in der Zeit nach der Grenzschließung versucht, ins Land zurückzukehren und trotzdem die verordnete Quarantäne zu umgehen. In den Medien wird von Busladungen von Menschen berichtet, die aus Italien in die Dörfer heimgekehrt sind und dort große Willkommensfeste abgehalten haben. Erst durch Hinweise von Nachbar*innen, haben sich die Heimkehrer *innen unter polizeilicher Begleitung in häusliche Quarantäne begeben. Das erhitzt die Stimmung – vor allem auf dem Land und in den sozialen Medien. Zum Opfer der Stimmung fallen zum einen die heimgekehrten Rumän*innen. Sie sind in den Medien die Hauptschuldigen, die das Virus ins Land gebracht haben. Zum anderen die Roma-Minderheiten, weil einige von ihnen sich nicht an die vorgeschriebenen Regeln z.B. Distanzgebot und Feierverbot halten (können). Die Berichterstattung, die in deutschen Medien auftaucht, die Rumänen würden die Roma-Minderheit für das Einschleppen des Viruses in Rumänien beschuldigen und dem Land Rassismus vorwerfen, halte ich für tendenziös.

Mittlerweile gibt es ausgeweitete Grenzkontrollen. Laut Militärverordnung werden sämtliche Fahrzeuge gestoppt, die Herkunftsländer überprüft und nach Zielstädten sortiert. Diese Autos werden – bei Ankunft aus gesperrten Gebieten (u. a. Italien) zusammengefasst und mit Polizeieskorte in die Heimatstädte eskortiert. Dort werden diese Personen sofort in Quarantäne genommen. Wie gut das in der Praxis umgesetzt wird, bleibt unklar.

Es kursiert eine Geschichte, dass an der Grenze drei Personen angehalten und kontrolliert wurden. Im Kofferraum: drei Leichen. Sie waren in Italien verstorben, die Angehörigen hatte sie nach Rumänien transportiert, um sie nach Roma-Tradition zu begraben - eine von vielen rumänischen „Corona-Storys“. Die Regierung hat Hotels und Pensionen zu Quarantänestationen umfunktioniert. 28.131 Personen befinden sich (Stand: 23. April) in Quarantäne, ca. 40.000 Menschen in häuslicher Isolation. Auch das große Ramandan Hotel in Sibiu am Kreisel ist zur Quaratänestation umgebaut worden. Viele der Menschen werden von der Polizei dauerüberwacht, damit sie die Quarantänebestimmungen einhalten.

Der ausgerufene Notstand beinhaltet die Schließung aller Einkaufszentren (ausgenommen sind darin befindliche Lebensmittelgeschäfte, Tierbedarf, Reinigungen und Apotheken) und aller ärztlichen Praxen sowie Zahnarztpraxen (außer Notfälle). In Sibiu sind aktuell nur 5 Praxen offen. Alle Spielplätze und Parks sind geschlossen, Veranstaltungen dürfen nicht stattfinden.

Gruppenbildung von mehr als drei Personen ist untersagt. In Rumänien gilt der Mindestabstand von 1,5 Meter zwischen zwei Personen. Bewegungsfreiheit zwischen 6.00 und 22.00 Uhr nur für Arbeitszwecke, dringende ärztliche Behandlungen, Versorgung von Kindern oder älteren/kranken Personen, Todesfälle, notwendige Einkäufe, kurze Spaziergänge in Wohnortnähe. Beim Verlassen der Wohnung muss den Kontrollorganen eine eigenverantwortliche Erklärung oder die Bestätigung des*der Arbeitgeber*in vorgelegt werden.

Menschen über 60 Jahren dürfen die Wohnung nur zwischen 11 und 13 Uhr verlassen und das auch nur in unmittelbarer Umgebung der Wohnung. Die Versorgung alleinstehender Senior*innen übernimmt das Militär. Hierfür wurden in manchen Kommunen Listen in den Wohnblöcken ausgeteilt, in denen sich Menschen für eine Versorgung eintragen konnten. Diese wird wohl gut gewährleistet.

Es wird regelmäßig patrouilliert und es gibt zahlreiche Polizei- und Milizkontrollen. In Bukarest wurde ein Mann angeschossen, als er seine häusliche Isolation verlassen hat und die Nachbarn die Polizei gerufen haben. Der Mann war psychisch krank, er versuchte zu fliehen, die Polizei hat geschossen, der Verletzte ist auf dem Weg zum Krankenhaus verstorben. Die Isolation zehrt an den Menschen.

Die Versorgungslage, die medizinische und wirtschaftliche Situation

Die Versorgungslage ist gut. Es gibt keine Hamsterkäufe. Alle Lebensmittel und Artikel des häuslichen Gebrauchs sind ausreichend vorhanden. Zu Beginn des Notstandes herrschte in den Supermärkten großer Andrang, mittlerweile hat sich die Situation entzerrt und es kann zu jederzeit entspannt eingekauft werden. Es gibt Desinfektionsmittel und Toilettenpapier. Alle nötigen Produkte sind ausreichend vorhanden.

Sollte am 15. Mai der Notstand aufgehoben werden, wird vermutlich eine Maskenpflicht eingeführt. Auch aktuell tragen anscheinend mehr als 50 Prozent der Bevölkerung, vor allem ältere Menschen, freiwillig eine Maske. Masken sind in ganz Rumänien in Apotheken und Supermärkten zu kaufen. Der Preis ist gestiegen, eine Einwegmaske kostet etwa 1€. Mein Onkel erzählte, dass er ein Paket mit 100 Masken zu seinen Freund*innen nach Belgien verschickt hat, weil diese keine bekommen.

Das Hauptthema in den Medien ist die Situation des medizinischen Personals. Aufgrund der Auswanderung fehlt es an medizinischem Personal inkl. Pfleger*innen und Ärzt*innen. Viele der im Land verbliebenen Pfleger*innen mussten im Umgang mit Schutzkleidung geschult werden.

Laut den Daten der Weltgesundheitsorganisation verfügt Rumänien über 403 Betten für Akutbehandllungen auf Intensivstationen pro 100.000 Einwohner. Die Kapazität in den Krankenhäuser ist bisher ok. Es gibt bisher keine Engpässe. Aktuell wächst die Zahl der Infizierten und der Todesfälle deutlich. Den Höhepunkt der Pandemie erwartet Rumänien allerdings erst im Juni. Ob die Bevölkerung darauf eingestellt ist, bezweifle ich nach meinen Gesprächen.

Zahlreiche Unternehmen in Rumänien haben geschlossen. Es gibt – ähnlich wie dem Kurzarbeitergeld in Deutschland – ein technisches Arbeitslosengeld, das sind 75% des Bruttogehalts. Das technische Arbeitslosengeld hört auf, sobald der Ausnahmezustand ausgesetzt wird. Die Menschen rutschen dann, wenn die Wirtschaft nicht sofort wieder angekurbelt wird, in das normale Arbeitslosengeld, das niedriger ausfällt als das technische Arbeitslosengeld. Die Angst vor der Armut ist groß im Land. Die Aussage „Lieber sterbe ich am Virus als an Hunger“ ist immer mehr zu hören – und damit die Forderungen nach Lockerungen. Einen konkreten, transparenten Plan bietet die Regierung jedoch nicht.

Die derzeit beschlossenen wirtschaftlichen Maßnahmen sind relativ schwach, vor allem im Vergleich zu westeuropäischen Ländern. Die steuerlichen Maßnahmen gelten primär für KMUs, nur ein Teil davon kann für große Unternehmen (als Gruppe 250 Mitarbeiter*innen oder mehr) beansprucht werden. Privatpersonen und Unternehmen können die Zahlung ihrer Kreditraten einstellen – und zwar für bis zu 9 Monate, maximal aber bis Ende 2020. Kreditzinsen laufen weiter, der Staat garantiert für die zusätzlich angefallenen Zinsen.

Ein interessante Zusammenfassung zum Thema Wirtschaft und Corona in Rumänien vor allem bzgl. der Unterstützungsmaßnahmen: https://www.advantageaustria.org/ro/WKO_COVID_Webinar_Praesentation_RO_…

Die Situation der Agrarhelfer*innen aus rumänischer Sicht

Die Bilder der rumänischen Erntehelfer*innen am Flughafen in Cluj sind uns sicher allen begegnet. Auch in Rumänien wurde das Thema vielfach diskutiert. Unklar ist, wie diese Arbeiter*innen ausgesucht wurden und wo sie eigentlich genau herkamen. Von fünf Flughäfen Cluj, Iasi, Timisoara, Sibiu und Bukarest sind Charterflüge mit Agrarhelfer*innen nach Deutschland gestartet. Insgesamt wurden laut rumänischen Medienberichten 90.000 Arbeiter*innen ausgeflogen. Die Menschen sind zu Tausenden an den Flughäfen über Nacht aufgetaucht, das Verfahren, wie sie ausgesucht wurden ist sehr undurchsichtig. Keine politische Instanz in Rumänien übernimmt Verantwortung. Es heißt hinter der Rekrutierung stünden Agenturen aus Deutschland, aber wie sie verfahren haben ist völlig nebulös. Es gab z.B. keine öffentliche Kampagne o.ä. zur Suche der Erntehelfer*innen. Es ist ein gesellschaftlicher Neid entstanden, wer das Land verlassen durfte und wer nicht.

Laut der rumänischen Medien hat eine Vielzahl dieser Menschen keinen fairen Arbeitsvertrag mit einem ausreichenden Kündigungsschutz bzw. keine Krankenversicherung. Da die Grenzen für Personenverkehr geschlossen sind und es keine Transportmittel zwischen den Ländern gibt, haben diese Menschen keine Möglichkeit individuell auszureisen. Sie wurden einmalig ausgeflogen, unklar auf welche Verträge beruhend, und müssen nun - komme was wolle - in Deutschland verharren, bis entweder die Grenzen wieder geöffnet oder Charterrückflüge von der Regierung gestellt werden. Dass den Rumän*innen die Pässe von den deutschen Bauern abgenommen werden, ist nicht unüblich. So geraten sie, zurzeit mehr denn je, in eine ausweglose Abhängigkeit. Die rumänische Presse berichtet von Menschen, die als Erntehelfende bereits gekündigt wurden und nun – ohne Krankenversicherung und ohne soziale Absicherung – im Land verweilen. Ob diese Geschichten wahr sind oder nicht: Mich persönlich macht dieses unmenschliche Vorgehen sehr wütend auf Deutschland.

Weitere Informationen zu den Fällen, Anzahl der Erkrankten etc. im englischsprachigen Wikipedia-Artikel: https://en.wikipedia.org/wiki/2020_coronavirus_pandemic_in_Romania