Gescheiterte Versprechen von ambitionierterem Klimaschutz und massiverem Aufbau finanzieller Unterstützung, ein beispielloses Drängen auf technologische, riskante Scheinlösungen und verschärfte Ungerechtigkeiten in Zeiten der Pandemie sind der Rahmen für die COP 26 in Glasgow.
Die ursprünglich für 2020 anberaumte COP26 war als Stunde der Wahrheit gedacht. Fünf Jahre nach Paris sollte sie als Lackmustest für die Bereitschaft der Vertragsstaaten dienen, etwas zur Erreichung der folgenden drei im Abkommen von 2015 festgeschriebenen Ziele zu tun: die Begrenzung der Treibhausgasemissionen, um ein gefährlicheres Niveau der Erderwärmung zu verhindern, die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit und die Anpassung der Finanzflüsse an eine Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft.
Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die COP26 um zwölf Monate verschoben und findet jetzt vor dem Hintergrund nationalistischer Gesundheitspolitiken statt. Die Pandemie hatte und hat erschreckende Auswirkungen auf die Klimapolitik: Zum einen wurden die Versprechen, den Klimaschutz zu stärken und die Klimafinanzierung ausreichend aufzustocken, nicht eingehalten und zum anderen wurden in nie dagewesener Weise Scheinlösungen in den Vordergrund gerückt, die von der dringenden Notwendigkeit des vollständigen Verzichts auf fossile Brennstoffe ablenken sollen.
Wenn die Regierungen verhindern wollen, dass die COP26 als die Veranstaltung in die Geschichte eingeht, auf der dem Pariser Klimaabkommen der Todesstoß versetzt und die Klimakatastrophe besiegelt wurde, müssen sie zeigen, dass sie verstanden haben, in welch fatalem Zustand die Welt jetzt schon ist. Wir befinden uns in einem Klimanotstand, der sich noch verschlimmert und auf eine Katastrophe hinauslaufen wird, wenn nicht sofort und entschieden Maßnahmen ergriffen werden, um im Einklang mit Wissenschaft und dem Gerechtigkeitsprinzip folgende Ziele zu erreichen: Zum einen geht es um die Eliminierung der wichtigsten Emissionsquellen, also einen Ausstieg aus der Produktion und Nutzung fossiler Brennstoffe, ein Ende der Abholzung von Wäldern und eine Transformation der industriellen Landwirtschaft. Es braucht aber auch die Bereitstellung ausreichender und gerechter Finanzmittel, um in den Gemeinschaften, die am härtesten vom Klimawandel betroffen und am wenigsten für diesen verantwortlich sind, für Schäden und Verluste aufzukommen und Anpassungsmaßnahmen zu unterstützen. Und nicht zuletzt geht es um einen Verzicht auf vermeintliche technologische Lösungen, auf Kohlenstoffkompensationen (Offsets) und auf abwegige Versprechungen von „Netto-Null-Emissionen“ zur Mitte des Jahrhunderts, die alle gefährliche Ablenkungsmanöver von den echten, notwendigen und machbaren Lösungen für die zunehmende Klimakrise sind.
Ein Platz am Verhandlungstisch: Legitime und ambitionierte Ergebnisse erfordern eine effektive und gerechte Beteiligung, auch von Zivilgesellschaft
Die COP26 findet in beispiellosen Zeiten statt. Die verheerende Corona-Pandemie verschlimmert die Folgen der Klimakrise, und beide vergrößern und verstärken gegenseitig die weltweiten Ungleichheiten. Die von der Corona-Pandemie verursachten wirtschaftlichen Erschütterungen setzen Länder, die ohnehin schon besonders von der Klimakrise betroffen sind, noch mehr unter Druck. Während in den Industrieländern die Phase des „Aufschwungs nach Corona“ beginnt, sind die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen nach wie vor die Hauptleidtragenden – in erster Linie aufgrund des Impfnationalismus und der Profitgier der Unternehmen, die dazu führten, dass die reichen Länder der Mehrheit der Weltbevölkerung einen gleichen Zugang zu Impfstoffen verwehrten und zuließen, dass Pharmakonzerne ihre Profite und Eigentumsrechte über die öffentliche Gesundheit und Gerechtigkeit stellten. Kommen zu der schon vorher bestehenden Schuldenkrise noch eine Gesundheitskrise und Extremwetterereignisse dazu, sind viele Länder schlicht überfordert.
Ausgerechnet diejenigen, die durch die Klimakrise am meisten gefährdet sind, stehen vor den größten Hürden, sicher nach Glasgow zu kommen
Inmitten dieses Geschehens haben Großbritannien und die UNFCCC beschlossen, den Klimagipfel mit persönlicher Anwesenheit der Delegierten stattfinden zu lassen. Damit ignorierten sie die Forderung von über 1.000 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus aller Welt, die COP26 zu verschieben, was die Organisationen mit berechtigten Bedenken zu mangelnder Inklusivität und nicht ausreichendem Gesundheitsschutz begründeten. Die britische Präsidentschaft ist überzeugt, mit ihren Maßnahmen angemessen auf diese Bedenken reagiert zu haben. Allerdings hat sie die eine Maßnahme nicht ergriffen, die effektiv gewesen wäre und ihre Entschlossenheit zur internationalen Zusammenarbeit unter Beweis gestellt hätte: sich für eine weltweite Impfgleichheit einzusetzen. Als große Volkswirtschaft und amtierender G7-Vorsitzender muss sich Großbritannien darum bemühen, die Hürden für eine internationale Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Corona aus dem Weg zu räumen. Der globale Zugang zu Impfstoffen könnte durch einen Verzicht auf geistige Eigentumsrechte unter dem internationalen Handelsregime ermöglicht werden. Stattdessen haben es Großbritannien und viele andere reiche Nationen zugelassen, dass sich in einem System, in dem Unternehmensprofite über das Recht der Menschen auf Gesundheit gestellt werden, ein Impfnationalismus durchsetzt.
Folglich machen Reisebeschränkungen, Visakomplikationen, Quarantänebestimmungen, extrem hohe Übernachtungskosten sowie Gesundheits- und Sicherheitsbedenken eine gleichberechtigte Teilnahme an der COP26 nahezu unmöglich. Ausgerechnet diejenigen, die durch die Klimakrise am meisten gefährdet und von den auf der COP26 gefassten Beschlüssen am meisten betroffen sind, stehen vor den größten Hürden, sicher nach Glasgow und auch sicher wieder nach Hause zu kommen. Diese Ungerechtigkeit wird zwangsläufig die Rechtmäßigkeit aller auf der COP26 gefällten Entscheidungen in Frage stellen – vor allem die zu Tagesordnungspunkten mit direkten Auswirkungen auf Gemeinschaften und indigene Völker in Ländern, die auf der COP am wenigsten vertreten sind. Zu diesen Punkten gehören unter anderem der Emissionshandel, die Überprüfung der Finanzierungsziele für Anpassung sowie das Thema Klimawandelschäden und -verluste.
Die Ambitionslücke: Uns läuft die Zeit davon, um Ambitionen im Einklang mit den Pariser Klimazielen zu steigern
Vor sechs Jahren wurde der Öffentlichkeit die Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens als Riesenerfolg präsentiert. Im Abkommen ist festgelegt, dass die Regierungen alle fünf Jahre ehrgeizigere Klimaschutzziele vorlegen müssen. Auf der COP26 sollte das diesbezügliche Engagement der Regierungen erstmals wirklich überprüft werden.
In den Monaten vor der COP ging aus alarmierenden Berichten jedoch hervor, dass die neuen Klimaschutzpläne und -strategien der nationalen Regierungen längst nicht ausreichen, um die Lücke zwischen allen bisherigen Maßnahmen und den Zielen des Pariser Abkommens zu schließen. Vor drei Monaten billigten alle Regierungen einstimmig die vom Weltklimarat veröffentlichten dramatischen Warnungen über das Ausmaß der Klimafolgen für unseren Planeten, wenn wir nicht einen anderen Kurs einschlagen. Der Weltklimarat betonte, dass die Regierungen die Rechte der heutigen und künftigen Generationen auf eine klimasichere Welt schützen könnten; allerdings nur mit einem sofortigen systematischen Handeln. Trotz dieser eindringlichen Warnung haben die meisten Regierungen ihre nationalen Klimaschutzziele und ihre Energiepolitik nicht anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse neu ausgerichtet. Um die Chance auf Erfüllung der Pariser Klimaziele zu wahren, müssen die in Glasgow zusammenkommenden Regierungen handlungsorientierte Beschlüsse fassen, mit denen Minderungsmaßnahmen verstärkt und Ambitionen effektiv gesteigert werden. Neben anderen Ergebnissen heißt das auch, erneut die Notwendigkeit zu bekräftigen, den Temperaturanstieg auf unter 1,5°C zu halten, zu vereinbaren, dass die nationalen Regierungen alle fünf Jahre höhere Klimaziele vorlegen müssen, und einen Mechanismus zur jährlichen Steigerung der Ziele einzurichten, um bessere Maßnahmen in die Wege zu leiten, bis die Kluft zwischen Ambition und tatsächlicher Minderung geschlossen ist. Dies nicht zu tun, wäre ein Signal, dass sich die Regierungen ihrer Verantwortung entziehen, die Pariser Ziele zu erreichen.
Der Elefant im Raum: Wir können einen katastrophalen Klimawandel nicht verhindern, ohne die Produktion fossiler Brennstoffe zu stoppen, und es ist höchste Zeit, dass die UN-Klimagespräche diese Realität anerkennen
Diese COP könnte die erste sein, bei der es einige Vertragsparteien wagen, das „F“-Wort in den Mund zu nehmen: fossile Brennstoffe. Diese wurden weder in den Beschlüssen vorhergehender COPs noch im Pariser Abkommen angesprochen – ein eklatantes Versäumnis in einem Dokument, das weithin als das wichtigste bisher verabschiedete weltweite Klimaabkommen gilt. Es war noch nie so deutlich, dass die Pariser Klimaziele unerreichbar bleiben, wenn die Vertragsstaaten nicht sofort Maßnahmen für einen schnellen, entschiedenen und gerechten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in Gang bringen. Im letzten Jahr erlebten wir ein stetig zunehmendes Momentum hinter den Forderungen nach einer Zukunft ohne fossile Brennstoffe. Gefordert werden der Stopp von Explorationen und Erschließungen neuer Öl-, Gas- und Kohlevorkommen, sofortige Schritte, um die existierende Gewinnung fossiler Brennstoffe runterzufahren und auslaufen zu lassen, sowie die Abschaffung von Subventionen für klimaschädliche fossile Brennstoffe, die sich allein im Jahr 2020 auf 5,9 Billionen USD (über 5 Billionen Euro) beliefen – gefordert wird vor allem ein Ende der öffentlichen Gelder für die fossile Brennstoffproduktion. Und diese Forderungen kommen nicht nur von Klimaaktivist*innen.
In einem im Mai 2021 veröffentlichten richtungsweisenden Gutachten kam die Internationale Energieagentur (IEA) zu dem Schluss, dass es keine neuen Investitionen in Öl, Gas und Kohle geben darf, wenn die Erderwärmung auf 1,5°C begrenzt werden soll. In der letzten Woche gab das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) seinen Bericht von 2021 zur „Produktionslücke“ („Production Gap Report“) heraus, in dem das klimapolitische Erfordernis bekräftigt wurde, dass die fossile Brennstoffproduktion sofort und erheblich zurückgefahren werden müsse. Der Bericht stellt jedoch fest, dass die Regierungen planen, bis 2030 etwa „240 Prozent mehr Kohle, 71 Prozent mehr Öl und 57 Prozent mehr Gas“ zu produzieren, als mit dem Einhalten des 1,5-Grad-Ziels vereinbar ist. Über 100 Nobelpreisträger*innen, über 2.000 Wissenschaftler*innen und über 100 gewählte Amtsträger*innen aus aller Welt unterstützen die Grundsätze eines Nichtverbreitungsvertrags für fossile Energien und fordern die Regierungen auf, dafür zu sorgen, dass die fossilen Brennstoffe ungenutzt in der Erde bleiben. Die Zeichen der Zeit sind deutlich: Es gibt keine ambitionierte Klimapolitik ohne einen gerechten Übergang in eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe. Und dieser Übergang kann erst beginnen, wenn die Öl-, Gas- und Kohleförderung nicht weiter ausgebaut wird.
Mit der Beyond Oil and Gas Alliance (BOGA) wurde die erste diplomatische Initiative ins Leben gerufen, die ausspricht, dass die Regierungen den Ausstieg aus der Öl- und Gasproduktion zur Kernkomponente ihrer Klimapolitik machen müssen. Es wird allgemein erwartet, dass diese Initiative auf der COP26 von einigen Vorreiterstaaten offiziell unterstützt wird. Die Frage ist, ob diese Länder die Vergabe neuer Explorations- und Gewinnungslizenzen tatsächlich vollkommen verbieten werden, die Integrität der Allianz bewahren und erkennen, dass für einen gerechten Ausstieg differenzierte Ansätze für die Ländern des Globalen Nordens und Südens gebraucht werden.
Großbritannien selbst plant offensichtlich, mit der Ankündigung voranzugehen, die staatliche Subventionierung von fossilen Brennstoffen im Ausland einzustellen. Angesichts der dringenden Notwendigkeit, alle Subventionen für fossile Brennstoffe zu stoppen – angefangen mit Investitionen in neue Öl-, Gas- und Kohleprojekte –, ist diese eine begrüßenswerte Nachricht. Angesichts der britischen Politik im Inland klingt die Ankündigung jedoch unglaubwürdig: Vorreiter beim Klimaschutz genehmigen keine neuen Ölfelder in der Nordsee.
Gefährliche Ablenkungsmanöver: Wir müssen vermeiden, durch Irrwege und Scheinlösungen wie Geoengineering und Emissionshandel wertvolle Zeit zu verlieren
Die vielleicht größte Bedrohung auf der COP26 für die Klimaziele sind die gefährlichen Ablenkungsmanöver wie „Netto-Null“ und die falschen Lösungen unter diesem Deckmantel: vermeintliche technische Lösungen wie Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, direkte Luftabscheidung und Wasserstoff, die alle unnötig, ineffektiv und risikoreich sind, sowie andere illusorische Konzepte wie Kohlenstoffkompensationen, mit denen die Verschmutzung wie bisher einfach fortgesetzt wird – unter der falschen Prämisse, sie könne ausgeglichen werden, statt sie zu beenden. Der Fokus auf das Erreichen von „Netto-Null“-Emissionszielen bis Mitte des Jahrhunderts statt zeitnaher auf „reale Null-Emissionen“ abzuzielen, verschleiert die Untätigkeit im Klimaschutz. Sie verzögern und lenken von den dringend notwendigen Maßnahmen ab, mit denen die Erderwärmung auf unter 1,5°C gehalten werden kann: Maßnahmen wie die Verringerung von Emissionen an ihrer Quelle durch den Ausstieg aus der Produktion und Nutzung fossiler Brennstoffe, die Transformation industrieller Landwirtschaft und eine Ende von Waldrodungen. Großbritannien ist ein Paradebeispiel für eine solche falsche Klimapolitik, da es einen erheblichen Teil der für sein Netto-Null-Ziel bis 2050 vorgesehenen Gelder erneut in die fossile Brennstoffindustrie investiert und dabei versäumt, der Energiearmut entgegenzuwirken. Da die Warnungen immer unheilvoller werden, nimmt die Geduld der Öffentlichkeit für leere Versprechungen und die Toleranz für klimapolitische Schönfärberei stetig ab. Für eine Abwendung der Klimakatastrophe sind sofortiges Handeln und ehrgeizige innenpolitische Minderungsmaßnahmen erforderlich, die sich an dem neuesten wissenschaftlichen Kenntnisstand ausrichten und globale Gerechtigkeit anstreben.
Bei den Verhandlungen spielt Artikel 6 des Pariser Abkommens eine große Rolle, da er einer der letzten offenen Punkte des Regelwerks zur Umsetzung des Abkommens ist. Sechs Verhandlungsjahre haben zu einer festgefahrenen Situation in wichtigen Schlüsselfragen zu den „kooperativen Ansätzen“ geführt.
Das bisherige schleppende Tempo der Verhandlungen zu Artikel 6 rechtfertigt allerdings keine Vereinbarung um jeden Preis auf der COP26. Einfach nur eine Entscheidung zu fällen – und das in Abwesenheit von Delegierten vieler Länder, die vermutlich am meisten von den in Artikel 6 genannten Aktivitäten betroffen sind – ist kein Erfolgsmaßstab. Ganz im Gegenteil: Nur um einer Entscheidung willen für die nächsten Jahrzehnte lasche Bestimmungen festzulegen, birgt das Risiko, die Integrität des Pariser Abkommens zu unterminieren.
Wie Beispiele aus der Vergangenheit deutlich machen, können marktbasierte Mechanismen Gemeinschaften gefährden und Ziele untergraben. Viel zu häufig ermöglicht es der Handel mit CO2-Gutschriften über Verrechnungssysteme, dass die großen Emittenten ihre Verschmutzung und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden wie gehabt fortsetzen. Ohne solide Schutzbestimmungen schaffen Märkte den Anreiz für Landraub und stellen damit eine Bedrohung für die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften dar. Aufgrund von Regelungslücken kam es zur Ausstellung von Gutschriften ohne verifizierte oder permanente Emissionsreduzierungen, und das Vertrauen in Kohlenstoffkompensationen perpetuiert den Irrglauben, dass eine geringe Klimabelastung an einem Ort mit fortgesetzten Emissionen an einem anderen Ort verrechnet werden kann. In einer klimabelasteten Welt ist kein Platz für einen „Entweder-Oder“-Ansatz bei Emissionsminderungen. Den Klimaschutz als bloßes Kohlenstoffverrechnungsproblem zu begreifen, ist zudem nicht nur viel zu kurz gegriffen, sondern suggeriert auch fälschlicherweise eine Gleichwertigkeit von Kohlenstoffemissionen, was die Erfahrung von Gemeinschaften an vorderster Front der Klimakrise außer Acht lässt, bei denen sich die Belastung konzentriert. Marktmechanismen dürfen langfristig keine Rolle spielen, da für die Begrenzung der Erderwärmung auf unter 1,5°C reales und sofortiges innenpolitisches Handeln erforderlich ist.
Aber auch bei strengen Vorschriften bestehen noch viele Risiken. Wenn sich die Länder auf der COP26 auf Modalitäten und Verfahrensweisen zu Artikel 6 einigen, müssen sie fordern, dass Menschenrechte und die Rechte indigener Völker beachtet, geschützt und gefördert werden und dass die Klimaziele nicht untergraben werden. Wir haben keine Zeit, um Fehler aus der Vergangenheit, wie denen im Zusammenhang mit dem CDM, zu wiederholen. Die Regelungen für alle marktbasierten Handelssysteme oder jede projektbasierte Finanzierung, beispielsweise über den Mechanismus für nachhaltige Entwicklung, aber auch die Regelungen für die nicht marktbasierte Zusammenarbeit sollten rechtsbasierte soziale und ökologische Schutzklauseln enthalten, mit denen eine maßgebliche Beteiligung lokaler Gemeinschaften sowie die Beachtung des Rechts indigener Völker auf die freie, vorherige und informierte Zustimmung (Free Prior Informed Consent – FPIC) für das Projekt und seinen gesamten Lebenszyklus garantiert und ein Beschwerdemechanismus eingerichtet wird, über den Betroffene gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten können. Die Regelungen zu Artikel 6 müssen auch unbedingt eine Doppelzählung von Emissionsreduktionen und den Übertrag der Gutschriften aus früheren Mechanismen (wie dem CDM) ausschließen. Wenn es zu Vereinbarungen kommt, sollten die Mechanismen von Artikel 6 die Reduzierung der Gesamtmissionen vorantreiben, und zwar mit der Vorgabe, dass ein Prozentsatz der getauschten Gutschriften gestrichen wird, ohne als Kompensation angerechnet zu werden. All diese Punkte sind wesentlich, um sicherzustellen, dass Artikel 6 nicht die Ziele und die Integrität des Pariser Abkommens unterminiert.
Die vorgeschlagenen großtechnologischen „Lösungen“ lenken von der Notwendigkeit ab, gegen fossile Brennstoffe als die Ursachen für die Klimakrise vorzugehen
Von der Beeinflussung der Sonneneinstrahlung bis zu einer massiven Kohlendioxid-Entnahme aus der Atmosphäre stellen Geoengineering-Ansätze ein ausgeprägtes Risiko für Menschenrechte und die Umwelt dar. Die Risiken im Zusammenhang mit der Erprobung, Entwicklung und dem Einsatz solcher Technologien überwiegen jeden ihnen zugeschriebenen, aber äußerst ungewissen langfristigen Nutzen für das Klima. Diese vorgeschlagenen großtechnologischen „Lösungen“ lenken zudem von der Notwendigkeit ab, gegen fossile Brennstoffe als die grundlegenden Ursachen für die Klimakrise vorzugehen, und erzeugen neue Risiken für heutige und zukünftige Generationen. Deshalb haben verschiedene internationale Institutionen und Gremien bereits de-facto-Moratorien oder Verbote gegen den Einsatz dieser Technologien verabschiedet. Das Interesse von Unternehmen, Einzelpersonen und Regierungen, insbesondere den größten Emittenten von Treibhausgasen, Geoengineering-Ansätze zu fördern, hat jedoch in den letzten Monaten zugenommen. Unter dem Deckmantel der Abscheidung und Entnahme von Kohlenstoff („Carbon Capture“ / „Carbon Removal“) sowie Feldversuchen und Experimenten mit solaren Geoengineering-Technologien ging das mit massiven Investitionen in fossile Infrastruktur einher. Um nicht Scheinlösungen und Irrwegen Vorschub zu leisten, sollte die COP26 weder in den offiziellen Verhandlungen noch in den Nebenveranstaltungen der Idee Raum gewähren, dass Geoengineering bei der Umsetzung des Pariser Abkommens eine Rolle spielen könnte.
Die Finanzierungslücke: Die Industrieländer müssen Vertrauen und Gerechtigkeit herstellen, indem sie für ausreichend und effektive Klimafinanzierung sorgen
Vor über einem Jahrzehnt versprachen die Industrieländer, ab 2020 jährlich 100 Mrd. USD an Klimafinanzierung für Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen bereitzustellen. Dieses Versprechen blieb 2021 mit einer Finanzierungslücke von mindestens 20 Mrd. USD unerfüllt. Inzwischen hat sich die Klimakrise verschärft, sodass der Finanzbedarf heute weit höher als das politisch festgelegte 100-Mrd.-Dollar-Ziel ist. Die Pandemie und sich schnell entwickelnde Schuldenkrisen haben den Bedarf weiter hochschnellen lassen. Den Entwicklungsländern, die von der Klimakrise besonders hart betroffen sind, ohne für diese verantwortlich zu sein, ausreichende Finanzhilfen zur Verfügung zu stellen, ist von zentraler Bedeutung – zum einen, um die moralischen und rechtlichen Verpflichtungen der Industrieländer zu erfüllen, zum anderen aber auch, um Vertrauen und Gerechtigkeit als Eckpfeiler der Klimapolitik wiederherzustellen
Auf dieser COP ist nicht nur entscheidend, dass die Länder schnellstens ihren lang überfälligen Versprechungen nachkommen, die Finanzhilfen quantitativ zu erhöhen, sondern auch, dass die Qualität der Finanzen verbessert wird, die zu häufig als Kredite und zum Großteil für Minderungsmaßnahmen bewilligt werden. Es ist unabdingbar, dass die Länder für die nächsten vier Jahre einen ausfallsicheren Plan vorlegen, in dem die Finanzierung von Minderung, Anpassung sowie Schäden und Verlusten aufgeführt ist. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass die von den Industrieländern für Glasgow genannten Beträge weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. Gleichzeitig muss die Debatte über ein neues, höheres kollektives Finanzziel für die Zeit nach 2025 eingeläutet werden. Gelder dürfen (wie oben diskutiert) weder in Projekt mit fossilen Brennstoffen fließen noch in die Unterstützung falscher Lösungen wie Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, weil diese auf fossilen Brennstoffsystemen basieren und damit die umweltbelastenden Industrien am Leben halten, statt den Ausstieg aus ihnen zu beschleunigen und sie zu ersetzen.
Um das Vertrauen wiederherzustellen und den dringendsten Bedarf zu decken, sollten die Vertragsparteien eine neue höhere Klimafinanzierung zusagen, die vor allem in Form von Zuschüssen und für Anpassungsmaßnahmen bewilligt wird. Darüber hinaus werden in zwei neuen, vom Ständigen Finanzausschuss der UNFCCC vorgelegten Berichten der Finanzbedarf der Entwicklungsländer auf Billionen von Dollar geschätzt und die gegenwärtigen Zahlungen an Klimafinanzierung als inadäquat bezeichnet. Diese Einschätzungen sollten die Vertragsparteien in ihren Überlegungen leiten, wie sie die überfälligen Beträge nachzahlen und eine adäquate Finanzierung bereitstellen können, die in Umfang und Zielen den Bedarf bis 2025 und darüber hinaus deckt. Die Vertragsparteien müssen auch einen Prozess in Gang bringen, um eine dringend benötigte Struktur für die Finanzierung von Schäden und Verlusten einzurichten. Es sind bereits jetzt schon enorme Schäden und Verluste aufgetreten. Viele Gemeinschaften können nicht länger warten. In Bezug auf die Bereitstellung von Finanzhilfen ist jeder weitere Aufschub tödlich.
Und schließlich muss die COP nicht nur für den Grünen Klimafonds, den wichtigsten Finanzmechanismus für Klimafinanzierung, sondern auch für die unter seiner Aufsicht angesiedelten Fonds einen Orientierungsrahmen erarbeiten, dessen Fokus darauf gerichtet ist, den Zugang für die bedürftigsten Länder zu erweitern und zu vereinfachen. Dafür muss die Unterstützung für Öl-, Gas- und Kohleprojekte– ebenso ausgeschlossen werden wie Finanzhilfen für risikoreiche Technologien zur Abscheidung oder Entnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre, die versuchen, das Kohlenstoffproblem zu lösen, anstatt fossile Brennstoffe zu ersetzen, und damit eine Gefahr für die Gemeinschaften an vorderster Front der Klimakrise darstellen. Mit diesem Orientierungsrahmen sollte sichergestellt werden, dass der Grüne Klimafonds sich vermehrt darum bemüht, auf Zuschüssen beruhende Finanzhilfen an die Länder, Gemeinschaften und Menschen zu vergeben, die diese Hilfen am dringendsten brauchen, wobei die Auszahlung über Durchführungsorganisationen mit Direktzugang zu den Mitteln erfolgen sollte. Es muss darum gehen, einen gender-gerechten Zugang zu den Geldern sicherzustellen und die Anpassungsfinanzierung zu erhöhen. Außerdem muss gewährleistet werden, dass die Durchführungsorganisationen („Akkreditierte Institutionen“ im Jargon des Grünen Klimafonds) ihren Teil dazu beitragen, auf das in Artikel 2(1) des Pariser Abkommens festgelegte Ziel einer emissionsarmen und widerstandsfähigen Entwicklung hinzuarbeiten, indem das gesamte Portfolio von fossilen Brennstoffen weg und hin zu Projekten mit niedrigen Treibhausgasemissionen und einem Beitrag zu einer klimaresilienten Entwicklung verlagert werden.
Auf den Appell der am stärksten Betroffenen reagieren: Die COP26 muss den institutionellen Rahmen für Schäden und Verluste stärken und ein klares Mandat für die Mobilisierung angemessener Ressourcen etablieren
Angefangen von den tödlichen Überschwemmungen in China, Deutschland und Belgien über die historischen Waldbrände in Nordamerika, im Mittelmeerraum und in Australien bis hin zu Madagaskar, das am Rande einer klimawandelbedingten Hungersnot steht, wird uns 2021 klar vor Augen geführt, dass wir bereits mitten im Klimanotstand leben. Die Auswirkungen des Klimawandels sind verheerend, verstärken die globale Ungleichheit und sind eine Bedrohung für die Menschenrechte. Die Gemeinschaften an vorderster Front der Klimakrise sind häufig am wenigsten für diese Krise verantwortlich und sehr schlecht gegen die Auswirkungen gewappnet. Wir sind im Zeitalter von Schäden und Verlusten angekommen und es ist höchste Zeit für die internationale Gemeinschaft – und vor allem für die historisch größten Umweltverschmutzer – sich des Problems anzunehmen. Obwohl das Pariser Abkommen Schäden und Verluste als die dritte Säule des Klimaschutzes anerkannte, haben die reichen Länder bisher kaum etwas getan, um den tatsächlichen Finanzbedarf zu decken.
Mit den Beschlüssen auf der COP26 muss sich das ändern. Eine wirkliche Anerkennung erfordert eine vollständige und rechtsbasierte Operationalisierung der Institutionen, die eingerichtet wurden, um sich mit Schäden und Verlusten zu befassen, wie das Santiago-Netzwerk. Zudem werden Schäden und Verluste nur dann das ihnen zustehende politische Gewicht erhalten und die Umsetzung von Beschlüssen regelmäßig überprüft, wenn sie zu einem festen Tagesordnungspunkt der Verhandlungen gemacht werden. Und vor allem geht es bei Schäden und Verlusten um den dringenden Bedarf an finanziellen Ressourcen. Die am stärksten vom Klimawandel betroffen Länder häufen Schulden an, um die Krise zu bewältigen, die sie selbst kaum mitverursacht haben. Es werden ausreichende und zusätzliche Gelder benötigt, um die finanzielle Belastung dieser Länder zu mindern. In den Diskussionen über die Finanzierungsziele nach 2025 muss der Finanzbedarf für Schäden und Verluste berücksichtigt werden und es werden auch zeitnahe Lösungen für die Mobilisierung neuer und zusätzlicher Finanzmittel gebraucht, einschließlich der Erhebung von Abgaben bei den Industrien, die am meisten zum Klimawandel beitragen. Ein geeigneter Finanzierungsmechanismus muss sicherstellen, dass die Mittel tatsächlich bei den am stärksten betroffenen Gemeinwesen ankommen. Da Gemeinschaften in aller Welt beobachten, was auf der COP26 passiert, muss die Konferenz liefern. Die reichen Länder haben die menschenrechtliche Verpflichtung, den Millionen an Menschen zu helfen, die weltweit bereits mit den durch die Klimakrise verursachten Schäden zu kämpfen haben.
No Rights, No Deal! Wir brauchen eine rechtsbasierte Klimapolitik, die fundamentale Rechte von Menschen und Natur in den Vordergrund stellt
In den letzten Monaten rückte die Notwendigkeit, Menschenrechte und Umweltfragen auf ganzheitliche Weise zu behandeln, zunehmend in den Fokus. Im Oktober 2021 verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat zwei wegweisende Resolutionen. Damit reagierte er auf ein über ein Jahrzehnt andauerndes Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen, darunter auch Organisationen indigener Völker. Der Rat erkannte das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als Menschenrecht an und richtete gleichzeitig die Position eines neuen Sonderberichterstatters ein, um Menschenrechte im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu fördern. In diesen Resolutionen hallen auch eine wachsende Zahl an Gerichtsentscheidungen nach, in denen bekräftigt wurde, dass die Vertragsstaaten die Pflicht haben, die Menschen durch effektive Regelungen vor klimawandelbedingten Menschenrechtsverletzungen zu schützen.
Menschen und Gemeinschaften in den Mittelpunkt des Klimaschutzes stellen
Darauf aufbauend müssen die Vertragsparteien auf der COP26 sicherstellen, dass Klimaschutzmaßnahmen auf der nationalen, regionalen und internationalen Ebene inklusiv und effektiv sind, auf Menschenrechten beruhen und zu einem gerechten Übergang beitragen. Menschen und Gemeinschaften in den Mittelpunkt des Klimaschutzes zu stellen, wird auch dazu beitragen, die Bemühungen um eine weitere Finanzialisierung von Klimastrategien und Ökosystemen, einschließlich sogenannter „naturbasierte Lösungen“, abzuwehren. Letztere haben das Potenzial, effektiven Klimaschutz zu untergraben, und die Rechte der betroffenen Gemeinschaften, insbesondere die Rechte von Frauen und indigenen Völkern, zu gefährden. Menschenrechte, soziale und ökologische Schutzbestimmungen und Einspruchsmöglichkeiten können diesen Trends entgegenwirken und sicherstellen, dass davon keine Bedrohung für die Menschenrechte ausgeht und adäquate Rechtsmittel zur Verfügung stehen, wenn es doch zu Menschenrechtsverletzungen kommen sollte.
In den letzten Jahren wurde die Notwendigkeit, Klimaschutz und die Förderung von Menschenrechten zu vereinen, immer häufiger in thematischen Arbeitssträngen und Fachgremien thematisiert, die unter der UN-Klimakonvention eingerichtet wurden, wie die Action for Climate Empowerment (ACE), die Local Community and Indigenous Peoples’ Platform (LCIPP), der Gender-Aktionsplan (GAP) und das Katowice-Komitee zu ’Response Measures‘. Die COP26 muss hier nicht nur die Mandate erweitern, sondern auch sicherstellen, dass in allen Ergebnissen der COP26 die Menschenrechte, einschließlich der besonderen Rechte indigener Völker, die Gleichstellung der Geschlechter und ein gerechter Übergang angemessen berücksichtigt sind, um so die nationalen Klimaschutzmaßnahmen effektiv zu einer gerechten, inklusiven und menschenzentrierten Politik zu machen.
Die Autor*innen danken Lili Fuhr und Liana Schalatek für Feedback und Ergänzungen zu diesem Text.