Steigende Risiken für freie Medien in Europa: Lösungsansätze europäisch denken

Hintergrund

Die Mediensysteme in Europa sehen sich mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert: Geschäftsmodelle stehen unter wirtschaftlichem Druck, Journalist*innen werden zunehmend bedroht und eingeschüchtert und durch die Verbreitung von Desinformation werden Teile der Öffentlichkeit über Belange des öffentlichen Interesses fehlgeleitet.

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Die Mediensysteme in Europa sehen sich mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert: Medienunternehmen stehen unter immer größerem wirtschaftlichem Druck, Journalist*innen werden zunehmend bedroht und eingeschüchtert und durch die Verbreitung von Desinformation werden Teile der Öffentlichkeit über Belange des öffentlichen Interesses fehlgeleitet. Obwohl sie traditionell als nationale Zuständigkeit verstanden wurden, haben Medienfreiheit und Medienpluralismus inzwischen einen festen Platz auf der europäischen politischen Agenda eingenommen, was unter anderem zum Entwurf des Europäischen Rechtsakts zur Medienfreiheit auf Ebene der Europäischen Union (EU) geführt hat - eine beispiellose und mutige Maßnahme, die jedoch nicht alle Probleme auf wundersame Weise lösen wird.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Freiheit und der Pluralismus der Medien gehören zu den Grundlagen unserer modernen liberalen Demokratien und sind als solche, zentrale Werte der EU und der Verfassungstraditionen der meisten europäischen Länder außerhalb der EU-Grenzen. Sie werden unter anderem durch Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, durch die Rechtsprechung der Gerichtshöfe für Menschenrechte in Anwendung der Konvention selbst und durch den umfangreichen Bestand an Normen geschützt, die der Europarat entwickelt hat, um starke und unabhängige Medien für einen soliden demokratischen Diskurs zu fördern.

Die Regierungen müssen nicht nur das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit wahren, sondern auch die demokratische Öffentlichkeit fördern, selbst wenn das bedeutet, dass sie kritische Meinungen tolerieren, und akzeptieren müssen, dass Journalist*innen mögliche Verfehlungen der jeweiligen Machthaber*innen aufdecken.

Was genau wir unter "Medien" verstehen, hat sich in den letzten Jahren stark verändert - was nicht nur zu begrifflichen, sondern auch zu wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen führt. Während die Bevölkerung im 20. Jahrhundert ihre Nachrichten überwiegend über Radio, Fernsehen und Zeitungen konsumierte, entstanden im 21. Jahrhundert unzählige neue Formate - vor allem Nachrichtenportale im Internet und soziale Medienplattformen - zur Verbreitung von Nachrichten und Informationen. Diese neuen Formate brachten auch einen Wandel in der Art und Weise mit sich, wie Informationen generiert, verbreitet und konsumiert wurden. Viele neue Stimmen bekamen eine Gelegenheit, sich Gehör zu verschaffen, und das Publikum hatte plötzlich unbegrenzte Möglichkeiten, seine bevorzugte Informationsquelle zu wählen, da die etablierten Nachrichtenkanäle durch Blogger, Vlogger und postende Nutzer*innen sozialer Medien ergänzt wurden. Wenn es immer noch Gatekeeper*innen gibt (Akteur*innen, die entscheiden, welche Geschichten es in die Öffentlichkeit schaffen), dann sind das nicht mehr ausschließlich die Redakteur*innen der Nachrichtenmedien, sondern in erster Linie Algorithmen, die Suchmaschinen, Nachrichtenplattformen und Social-Media-Seiten steuern.

Dieses neue Medienumfeld ist mit konkreten Risiken verbunden. Eine unvollständige Aufzählung der heutigen, miteinander verknüpften Problematiken beinhaltet, dass die Kommunikationsmedien beträchtliche Anteile ihrer Einnahmen eingebüßt haben und daher Schwierigkeiten haben, die Qualität ihrer Berichterstattung aufrechtzuerhalten. Die Verbreitung von Desinformation hat zu Vertrauensverlusten hinsichtlich der Integrität von Wahlen geführt, unter anderem in Frankreich und in Deutschland. Minderheiten, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Journalist*innen werden zunehmend zur Zielscheibe von Online-Bedrohungen und Hassrede. Algorithmengesteuerte Nachrichtenvermittlungsplattformen verschleiern die Art und Weise, in der Nachrichten dem Publikum präsentiert werden, und die öffentliche Debatte wird zunehmend polarisiert. Wenn diese Probleme nicht angegangen werden, können sie verheerende Folgen haben - nicht nur für den öffentlichen Raum, sondern auch für die Demokratie selbst.

Die Gefahren erkennen

Das Zentrum für Medienpluralismus und Medienfreiheit (CMPF) veröffentlicht jährlich eine Bewertung der Risiken für den Medienpluralismus in den EU-Mitgliedstaaten und den Kandidatenländern - den Media Pluralism Monitor (MPM). Unter Berücksichtigung von 200 rechtlichen, soziopolitischen und wirtschaftlichen Variablen hat die MPM-Ausgabe 2022 (für das vergangene Jahr) erneut gezeigt, dass keines der untersuchten Länder gegen die Probleme im Medienbereich immun ist. Insgesamt wurden die größten Risiken im Bereich der Marktpluralität registriert - dem Bereich, der den wirtschaftlichen Kontext bewertet, in dem Medienakteur*innen agieren. Auch wenn der MPM für die Jahre 2020 und 2021 eine leichte Verbesserung der Gesamtbewertung der Marktvielfalt feststellte, da sich die Medienmärkte von dem durch die Coronapandemie verursachten wirtschaftlichen Schock erholten, liegt die Bewertung des Bereichs immer noch sehr nahe an dem, was in der MPM-Methodik als "hohes Risiko" gilt. Die Bewertung zeigt, dass Online-Plattformen über eine dominante Marktmacht verfügen und gleichzeitig die Konzentration der Medienmärkte weiter zugenommen hat, was auf die zunehmende Tendenz in der traditionellen Medienindustrie zu Fusionen und Konsolidierungen zurückzuführen ist. Es überrascht nicht, dass dies auch zu einem erhöhten Risiko der Einflussnahme der Eigentümer*innen auf die Produktion journalistischer Inhalte geführt hat. Trotz Gesetzesinitiativen in den Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene bereitet die Intransparenz der Eigentumsverhältnisse nach wie vor Anlass zur Sorge. Bis heute ist es für die Bevölkerung schwierig, die Namen der eigentlichen wirtschaftlichen Eigentümer*innen der in einigen Mitgliedstaaten tätigen Medienunternehmen zu erfahren.

Im Bereich der politischen Unabhängigkeit registrierte der MPM ernsthafte Risiken im Zusammenhang mit staatlicher Werbung (die häufig von Regierungen als verdeckte Subventionierung eingesetzt wird), der Transparenz und Fairness politischer Online-Werbung (während ihr Offline-Pendant in der Regel gut reguliert ist), der redaktionellen Autonomie von Nachrichtenredaktionen und der Unabhängigkeit des Managements der öffentlich-rechtlichen Medien. Insbesondere in den neueren EU-Mitgliedstaaten berichteten die Länderexpert*innen des MPM über Anzeichen von Selbstzensur unter Journalist*innen. Zu den besorgniserregenden Trends in den übrigen Bereichen gehören die zunehmenden Drohungen gegen (und sogar Angriffe auf) Journalist*innen, die Unterrepräsentation von Frauen und Minderheiten sowohl im journalistischen Beruf als auch bei den repräsentierten Meinungsbildern sowie die Verbreitung von Hassrede und Desinformation im Internet.

Zu den tragischen Tiefpunkten des Jahres 2021 gehörte die Ermordung von drei Journalisten in den Ländern, die vom MPM abgedeckt werden: Der türkische Radiomoderator Hazım Özsu, der griechische Journalist Giorgos Karaivaz und der niederländische ehemalige Kriminalreporter Peter R. de Vries. Die Zahl der strategischen Klagen gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit (SLAPP) hat im vergangenen Jahr weiter zugenommen, da es keine ausreichenden Rahmenregelungen zur Bekämpfung von SLAPPs gibt. Und im Rahmen einer der größten grenzüberschreitenden journalistischen Ermittlungen des vergangenen Jahres wurde aufgedeckt, dass die ungarischen Behörden Pegasus-Spionagesoftware verwendet haben, um die Telefone hochrangiger Journalist*innen zu hacken.

Auf der Suche nach geeigneten Maßnahmen

Im Jahr 2022 hat uns der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die darauffolgende Desinformationskampagne erneut vor Augen geführt, wie ernst die Bedrohung der offenen und demokratischen Öffentlichkeit ist. Um die unkontrollierte Verbreitung russischer Propaganda über Rundfunk- und Online-Kanäle zu verhindern, beschloss die EU im Rahmen ihres Sanktionspakets, eine Reihe von Online-Kanäle russischer Herkunft zu sperren und ihre Sendungen auszusetzen. Die Maßnahme war jedoch nicht unumstritten. Sie löste eine EU-weite Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit, die Tolerierbarkeit von Propaganda in einer freien und pluralistischen Gesellschaft, die Wirksamkeit von Verboten und die Zuständigkeiten der EU-Institutionen im Umgang mit Medien und Informationen aus. Dies zeigt erneut, dass ein gesunder öffentlicher Raum nicht nur Schutzmaßnahmen seitens der Regulierungsbehörden und der politischen Entscheidungsträger*innen benötigt, sondern auch, dass die ergriffenen Maßnahmen auf einer sorgfältigen Planung und Diskussion zwischen politischen Entscheidungsträger*innen, Regulierungsbehörden, Journalist*innen und anderen wichtigen Interessengruppen beruhen müssen.

Bei der Betrachtung der umfassenderen Herausforderungen des Medienpluralismus wird immer deutlicher, dass wir zur Bewältigung der Bedrohungen für die Medienfreiheit und den Medienpluralismus einen gezielten Rahmen einheitlicher EU-Vorschriften und eine enge Zusammenarbeit bei der Regulierung benötigen, die sich mit dem Marktversagen der Nachrichtenmedienlandschaft befasst, Transparenz und fairen Wettbewerb auf dem Online-Markt sicherstellt und gleichzeitig den Schutz der Rechtsstaatlichkeit bekräftigt.

Es ist zu begrüßen, dass die skizzierten Probleme in der öffentlichen Diskussion an Bedeutung gewinnen und daher auch ganz oben auf der politischen Agenda stehen. In der EU hat es in den letzten Jahren eine Reihe von relevanten Entwicklungsprozessen gegeben.

Die EU hat zahlreiche neue Regulierungsinitiativen zur Verbesserung der Vorschriften für Mediendienste und Medienmärkte auf den Weg gebracht, auch als Reaktion auf die wachsende Rolle und Macht der globalen Online-Plattformen. Als Teil einer umfassenden Reform der Politik für den digitalen Markt zielt das Paket des Digital Services Act darauf ab, die Sicherheit des digitalen Sektors zu verbessern und zu gleichen Wettbewerbsbedingungen auf dem digitalen Markt beizutragen. Eines der wichtigsten Elemente des Digital Services Act ist die rechtzeitige und wirksame Entfernung illegaler Online-Inhalte, die Bereitstellung von Instrumenten für die Nutzer*innen sozialer Medien, mit denen sie problematische Inhalte melden können, sowie die Einführung von Transparenzbestimmungen für Algorithmen und abschreckende finanzielle Sanktionen für digitale Akteur*innen bei schweren Verstößen. Ein Vorschlag zur Regulierung der politischen Online-Werbung befasst sich mit dem Targeting von Anzeigen und der Verhaltenskodex für Desinformation (in einer neuen, gestärkten Form) schafft einen Selbstregulierungsrahmen, der Online-Akteure wie Google und Facebook einbezieht, um die Transparenz politischer Werbung zu erhöhen, die automatisierte Verbreitung von Desinformation einzudämmen und sicherzustellen, dass die Verbreitung von Desinformation kein lukratives Geschäft mehr darstellt.

Was die journalistische Arbeit betrifft, so stellt die EU mehr Mittel für Nachrichtenmedien zur Verfügung. Zudem wurde eine EU-Anti-SLAPP-Richtlinie ausgearbeitet. Die Verordnung über die Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit ermöglicht es der EU, denjenigen Mitgliedstaaten Mittel vorzuenthalten, die gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen (auch im Hinblick auf unabhängige Medien und Meinungsfreiheit). Darüber hinaus - und das ist wahrscheinlich die wichtigste Entwicklung für den Medienpluralismus - legte die Europäische Kommission im September 2022 ihren Entwurf für einen Europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit (EMFA) der Öffentlichkeit vor.

Der veröffentlichte Text des EMFA zeigt, dass die Kommission eine sehr mutige Initiative zur Unterstützung unabhängiger Nachrichtenproduzent*innen ergriffen hat, indem sie einen gemeinsamen Rahmen für Medien im Kontext des europäischen Binnenmarktes schafft - und gleichzeitig bekräftigt, dass die Medienfreiheit zu den Grundpfeilern der europäischen Demokratie gehört. Sollte diese Verordnung verabschiedet werden, könnte sie den Weg für eine Reihe wichtiger Reformen im europäischen Medienumfeld ebnen. Ein wichtiger Schritt wäre die Einrichtung des Europäischen Rats für Mediendienste (EBMS), der die Verordnung und die Standards für Medienfreiheit und Pluralismus in der gesamten EU durchsetzen soll. Unter den vielen Vorschlägen des Entwurfs ist es interessant hervorzuheben, dass die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, inhaltliche und verfahrenstechnische Regeln aufzustellen, um eine Bewertung der Medienmarktkonzentrationen zu gewährleisten, die erhebliche Auswirkungen auf den Medienpluralismus und die redaktionelle Unabhängigkeit haben können. Darüber hinaus schlägt der EMFA Regelungen vor, die mehr Transparenz und Objektivität bei der Zuteilung staatlicher Werbung gewährleisten sowie Schutzmaßnahmen gegen den Einsatz von Spionagesoftware gegen Journalist*innen und die ungerechtfertigte Entfernung von Inhalten durch Online-Plattformen beinhalten. Der Text enthält auch eine vorläufige Definition von Mediendiensten und versucht damit zu klären, welche Formen der Inhaltsproduktion durch die Verordnung geschützt werden, einschließlich des Konzepts der "redaktionellen Verantwortung" bei der Bereitstellung von Medienprogrammen.

Dennoch sollten einige Unzulänglichkeiten des EMFA nicht außer Acht gelassen werden. Kritiker*innen sehen beispielsweise die zuvor erwähnte Definition der Mediendienste sowohl als zu vage an, wodurch große, etablierte Medien begünstigt werden, und gleichzeitig als zu weit gefasst, wodurch auch Dienste einbezogen werden, die nicht zu den Medien gehören. Das Dokument sieht keine Sanktionen vor und der Umfang der Maßnahmen ist bisweilen unzureichend gestaltet (beispielsweise der Schwellenwert von einer Million Einwohner*innen bei der Bewertung der Schaltung von Werbung durch lokale Behörden oder die Definition von "Spionagesoftware"). Viele wichtige Fragen (wie die Transparenz des Medieneigentums) werden hauptsächlich in den Empfehlungen und nicht in der Verordnung selbst behandelt. Um sicherzustellen, dass die potenziellen Probleme angegangen werden und die Verordnung so wirksam wie möglich ist, bedarf es in den nächsten Monaten lebhafter Debatten zwischen Journalist*innen, Branchenvertreter*innen, Wissenschaftler*innen, der Zivilgesellschaft und politischen Entscheidungsträger*innen. Die Initiative hat sowohl einen hohen symbolischen als auch normativen Wert, aber sie braucht mehr Aufmerksamkeit aus den Kreisen, die sie schützen und befähigen soll. Um sicherzustellen, dass der Europäische Rechtsakt über die Medienfreiheit einen möglichst wirksamen Beitrag zu unserem öffentlichen Leben leistet, gilt es, die Diskussion schon heute zu beginnen.


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